Kayas Geschichte

Kaya spricht in diesem Text sehr offen über ihre Erlebnisse in der Prostitution. Ihre Geschichte oder Teile aus dieser Geschichte dürfen nur in Absprache mit Heartwings abgedruckt oder weiterverwendet werden.

Ich bin in einer Plattenbausiedlung aufgewachsen. Ein Ort, an den alle anderen es vermieden hinzuziehen. Die Medien nennen es einen sozialen Brennpunkt. Für meine Familie gab es keine andere Option. Es war normal, dass wir in den Läden auf die Preise geschaut haben. Das Günstigste vom Günstigsten kauften wir. Es war normal, dass ich in der Schule gehänselt wurde für die Gegend, wo ich herkam. Mir war egal, was die in der Schule sagten. Schön war, wenn ich mit meinen Freunden aus der Blockgegend Zeit verbrachte. Wir unser Geld zusammenkratzten und uns eine Chipstüte für einen Euro holten. Dann waren wir die glücklichsten Menschen. Dieses Gefühl habe ich seither nie wieder gehabt – es wird auch nie wieder kommen. Ich sage dir ehrlich: Ich vermisse dieses Blockleben, diese Armut.  

Meine leibliche Mutter hat mich und meine Schwester verlassen, als wir fünf Jahre alt waren. Ich habe einen Brief gesehen, in dem sie meinem Vater schrieb: «Hiermit überlasse ich dir meine Kinder. Ich schaff das nicht mehr.» Sie hat uns eingetauscht gegen Drogen, Alkohol und Männer. Meine Mutter ging von Stadt zu Stadt. Von einem Mann zum nächsten. Einen festen Wohnsitz hatte sie nicht. – «Schwester, erinnerst du dich, wie wir uns unter der Decke versteckten, wenn wieder einmal die Polizei kam?» 

Papa war allein mit uns Mädchen. Die Lehrer sagten: «Sie schaffen das nicht, schalten Sie das Jugendamt ein.» Mein Vater hat das nicht gemacht, weil er es schaffen wollte. Dann kam eine neue Frau. Die ist heute meine Mutter. Natürlich hat jede Familie ihre Ecken und Kanten. Trotzdem stehen meine Stiefmutter und mein Papa bis heute hinter mir. Darum weiss ich: Familie ist heilig. 

Schön war, wenn wir meine leibliche Mutter besuchten und sie nüchtern war. Sie war dann wie ein Engel. Oft sassen wir zu Dritt in der Badewanne und assen Wackelpudding. Das war schön. Wenn sie nüchtern war, sind wir rausgegangen, haben Spaziergänge gemacht. Wir haben Listen geschrieben, um nichts von dem zu vergessen, was wir am Wochenende gemeinsam tun wollten.  

Wenn wir kamen und sie schon Alkohol gekauft hatte, sagten wir: «Mama nein. Es wird eskalieren.» Wir waren damals acht Jahre alt. Sie sagte: «Nein, nein.» Wie behielten immer Recht. Es gab dann immer sehr, sehr viel Gewalt. Gewalt mit ihrem Partner. Meine Mutter war aggressiv, wenn sie trank. Ich habe meine Schwester in den Arm genommen, wenn sie weinte. Einmal, als wir zehn waren, verbrachten wir Ostern bei ihr. Sie trank schon, als wir ankamen. Wir sagten: «Nein Mama, bitte nicht. Es eskaliert.» Wir gingen nach draussen picknicken, sie trank. Von da aus weiter an eine Dorfparty. Sie stellte uns ihren Freunden vor. Von der Party gingen wir dann zu ihr. Sie lebte mit ihrem neuen Partner in einem Haus. Es war heruntergekommen und dreckig. Aber es gab einen Raum, wo ein Bett drin stand, wo es gemütlich war. Dort haben wir zu Dritt geschlafen. Ihr Partner schlief im Badezimmer. Ich war schon fast eingeschlafen, da sagte meine Mutter, dass sie kurz eine rauchen geht. Um zwei Uhr morgens weckt mich meine Schwester: «Steh auf, steh auf. Mama und ihr Partner streiten», sagte sie. Es war normal, dass wir gesehen haben, wie sie sich schlugen, so richtig blutig schlugen. Wir standen dann in diesem Raum und meine Mutter wollte gerade irgendwas werfen. Überall waren Glasscherben am Boden. Ich nahm meine Schwester, hob sie hoch und trug sie über die Glasscherben. Wir sind zu den Nachbarn und die haben die Polizei gerufen. Dann kam der Kindernotdienst.

Der Kontakt zu meiner Mutter war nicht regelmässig. In den vergangenen Jahren hat sie nun auch unsere Geburtstage vergessen. 

Ich weiss, dass meine Mutter eine schwierige Kindheit hatte. Sie kannte ihren Vater nicht und ihre Mutter war versifft und lebte von Hartz 4. Meine Mutter kam deshalb ins Kinderheim. Dort lernte sie meinen Papa kennen. Auch er hatte eine schwere Kindheit. Aber er hat es trotzdem geschafft zwei Mädels grosszuziehen. Er liebt uns. Er würde uns niemals eintauschen. 

Ich kannte es, nie die Beliebte zu sein oder eine Freundin zu haben. In der Schule habe ich nur Ausgrenzung erlebt. Ich war das Opfer. Sie nannten mich Warzenschwein, Pickelschwein, Schlampe. Sie sagten mir, ich solle mich umbringen. Das war normal für mich. Es war auch normal, dass meine Schwester und ich uns auf dem Klo einsperrten und warteten bis die Pause vorbei war. Hauptgrund für all das war, weil ich in dieser Gegend lebte, nicht die neusten Klamotten trug und mich für Flüchtlinge interessierte. Meine Schwester und ich bildeten uns unsere Meinung selbst. Wir hörten nicht darauf, was die anderen sagten. Ich war nie eine Mitläuferin. Nie. Ich bin anders. Die einzigen Freunde, die ich hatte, waren vom Block. In der Schule war ich das Opfer, kam ich heim waren wir eins. Deswegen vermisse ich diese Armut, diesen Ort, an dem man alles teilt. Wo man barfuss Fussball spielt, oder in den Kindergarten einbricht, um zu schaukeln.  

Meine Schwester ist mit 14 zum Islam konvertiert. Ich habe das akzeptiert. Die anderen nicht. Die Leute haben uns angespuckt, wenn wir zusammen einkaufen waren. In unserem Block lebten auch Rechtsradikale. Überhaupt ist es eine Nazistadt. Ein kleines Beispiel: Wir mussten Fotos für den Ausweis machen und wurden so behandelt, als ob wir keine Schwestern wären. Man hat zu ihr gesagt: «Nehmen Sie das Kopftuch ab, wenn Sie ein Bild machen wollen.» Das macht sie nicht. Sie würde für nichts auf der Welt das Kopftuch abnehmen. Die Leute akzeptieren das nicht. – nur weil sie ein Kopftuch trägt, wird sie anders behandelt? 

Einmal wurde meine Schwester festgehalten und alle standen um uns rum. Ich wurde von anderen Mädels zusammengetreten. Weshalb weiss ich nicht. Ich musste deswegen ins Krankenhaus. Die Lehrer sahen das nie. Stattdessen rieten sie meinem Vater, uns von der Schule zu nehmen, weil wir es sowieso nicht schaffen würden. Mein Papa meinte, Probleme lösen sich von allein, man sehe sich immer zweimal im Leben. Mein Vater gab uns Stabilität. Wir taten ihm leid. 

Dann habe ich die elfte Klasse angefangen. Das war der Höhepunkt mit dem Rassismus. Wir hatten einen Skinhead in unserer Klasse. Auf der Webseite unserer Schule hiess es zwar: «Rassismus wird bei uns nicht geduldet.» Und trotzdem wurden wir beleidigt und ausgegrenzt, nur weil meine Schwester ein Tuch auf dem Kopf trug. Es war normal, dass man ihr gesagt hat: «Halts Maul, du hast hier nichts zu sagen. Geh in dein Land zurück.» Da habe ich dann gesagt: «Warte mal, ich bin doch ihre Schwester. Sind wir nicht Deutsche?» – «Nein seid ihr nicht.» – «Ja, aber ich habe doch einen deutschen Pass.» Das ist so dumm. Dummheit in Person. 

Nach der elften Klasse brach ich die Schule ab. Ich arbeitete in der Altenpflege. An einem Wochenende war ich in Hamburg. Ich besuchte eine Freundin. Am Samstag nahm sie Drogen und trank viel. Deshalb stritten wir. Ich ging. Wusste aber nicht wohin. Zu dieser Zeit hatte ich sehr, sehr dollen Streit mit meinen Eltern. Dann matchte ich auf einer Dating-App mit einem Typen. Ich schrieb ihm, ich sei in Hamburg, wisse nicht was ich tun, noch wohin ich gehen könnte.

Er meinte: «Warte bis abends am Hauptbahnhof. Ich hole dich ab.» 

Er kam mit einem weissen Audi vorgefahren, stieg aus und ich dachte: «Der ist ja voll hübsch. Er ist mein Traummann.» Er umarmte mich fest und lud meinen Koffer ins Auto, sagte: «Komm mit.» Wir fuhren in eine schöne Gegend in Hamburg.  Da gab es richtige Häuser, keine Blocks. Unterwegs hielten wir bei McDonalds. Wir unterhielten uns intensiv. «Das ist mein Partner fürs Leben», dachte ich. Es war sowas wie Liebe auf den ersten Blick. Ich hatte das nie zuvor. Als wir in der Wohnung in einem dieser Häuser ankamen, war alles so schön. Wir haben gegessen, gekuschelt. Er hat mir sogar sein Hemd zum Anziehen gegeben. 

(Weint)

Er war 28 Jahre alt. Türke mit kurdischer Abstammung. Ich war 18. Wir sind uns in dieser Nacht nähergekommen. Am nächsten Morgen fuhr er mich an den Bahnhof, gab mir Geld fürs Zugticket nach Hause.

Zuhause hatte ich, wie gesagt, Stress mit meinen Eltern. Kleinigkeiten, wenn ich heute daran zurückdenke. Auch bei der Arbeit hatte ich Probleme. Ich hatte keine Lust da weiterzuarbeiten. Ich habe immer mal wieder mit ihm geschrieben. Am nächsten Wochenende fuhr ich dann wieder nach Hamburg. Er hat in einem Hotel ein Zimmer reserviert in der obersten Etage. Alles war so luxuriös und so schön. Wir waren das ganze Wochenende in diesem Hotel. Er war superlieb. Küsse hier, Küsse da. Er nannte mich Schatz. Kurz darauf sind wir zusammengekommen. Dann fuhr ich wieder nach Hause. Nach einer Woche schrieb er: «Komm nach Hamburg. Ich helfe dir. Ich habe einen Superjob für dich, wo du viel Geld verdienen kannst.» Ich habe diese Konversation nicht mehr. Er schrieb mir auf Snapchat. Da löschen sich die Nachrichten von selbst. 

Wenn ich jetzt so nachdenke, sehe ich: Es war alles detailliert geplant. Ich war einsam und suchte jemanden, der mich liebt. Er wusste, dass ich allein bin und Stress habe Zuhause. Er hat das so richtig eklig ausgenutzt. Alles war geplant. Wie dieser Anschlag am 11. September. Genauso komme ich mir vor: Als ob ein Attentat auf mich verübt worden ist. 

Er schrieb mir noch: «Pack ein paar Dessous sein.» Ich hatte immer noch sehr dollen Streit mit meinen Eltern, meine Arbeit kündigte ich per Whatsapp und sagte meinen Eltern, dass ich übers Wochenende nach Hamburg fahre. 

Wir fuhren wieder in ein Hotel. Diesmal war es nicht so luxuriös. Bisschen seltsam fand ich das schon. Im Hotel fing er an: «Guck, ich habe einen Job für dich. Das ist in einem Haus. Da wirst du arbeiten. Die Frau eines Kollegen wird dich einarbeiten.» Er hat nicht gesagt: «Du wirst nun deinen Körper verkaufen.» Es hat es umschrieben. Ich dachte es sei vielleicht Fotoshooting, oder mit Männern ausgehen. 

Ich wusste nicht, dass es Prostitution ist! Ich bin ins offene Messer gelaufen. 

Als er mich am nächsten Tag zu diesem Haus fuhr, dachte ich: «Oh mein Gott.» Es sah aus wie eine Ruine von aussen. Und überall rote Lichter. Die Frau von dem Kollegen war 24 Jahre alt und sagte zu mir: «Soll ich dir den Koffer hochtragen?» Ich umarmte ihn zum Abschied und ging ins Haus.

Ich war allein und wollte mir eine Meinung bilden.   

Alle waren superlieb, fragten mich, wie es mir geht. Die Frau gab mir ein Zimmer. Es war ok. Sie stellte mich den Leuten vor, dann sagte sie: «Zeig mal, was du dabeihast.» Da habe ich mich eingekleidet. «Boah, du siehst so hübsch aus!», sagte sie. Dann meinte sie, dass sie nun auf die Strasse gehe. Ich war allein im Zimmer, habe mich im Spiegel angeguckt. «Ist das richtig?» Ich sagte mir: «Egal, mach!»

Ich habe mir also den Stuhl rausgenommen, genau so, wie mir das erklärt worden ist. Mir wurde ein Zettel gegeben, wo die Preise draufstanden. 

Der erste Kunde kam. Ein alter Mann mit vernarbtem Gesicht, um die 50 Jahre alt. Später wurde mir gesagt, dass er jede Neue nimmt. Ich habe es über mich ergehen lassen. Als er ging kam meine Zimmernachbarin. «Wie geht es dir?» Ich: «Alles gut.» 

Ich habe nicht geweint, weil ich die Scheine in der Hand hatte. Das hat richtig geschmeckt – 50 Euro für 20 Minuten. 

Jeden Tag habe ich mich nun schick gemacht, Kunden bedient und dabei nie an meine Psyche gedacht. Ich arbeitete bis morgens um drei Uhr, auch wenn ich müde war. 

Nach einer Woche schrieb er, dass er mich abholen werde und ich mein Portemonnaie mitnehmen soll. Wir sind zum Aldi-Parkplatz gefahren. Er sagte: «Gib mir das Portemonnaie.» 2500 Euro waren drin. Er nahm das Geld raus, sagte: «Hast du gut gemacht.» Ich sagte nichts. 

Wir werden uns eine Wohnung kaufen, sagt er. Und ich könne ja Escort machen. «Wir bringen dich in eine Escort-Firma, wo wir dich chic machen – Wimpern, Nägel, Fitness, Lippen.» 

Es war ein Schock. Ich dachte an meinen Vater. Er sagte: «Alles ist gut. Komm wir holen Essen.» Paar Stunden später fuhr er mich zurück zum Haus. 

Ich bin hoch in dieses Zimmer. Zimmer Nummer 9. Die 24-Jährige war nicht da. Sie ging reisen. Reisen bedeutet, dass sie in eine andere Stadt gefahren ist zum Anschaffen. Ich habe eine andere Frau gefragt: «Hey ist es normal, dass ich das Geld abgeben muss?» Sie meinte: «Guck mal, er ist dein Mann. Er kümmert sich um dich. Ja, es ist normal. Mein Mann ist mein Zuhälter, mein Aufpasser, meine Liebe, mein bester Freund.» Sie hat mich auch manipuliert. 

Als ich meinen Freund das nächste Mal sah, sagte er: «Du bist kein Kind mehr, reiss dich zusammen, rede nicht mit den anderen Frauen.» Er hat erfahren, dass ich gefragt habe, ob es normal ist das Geld abzugeben. Ich sagte: «Alles gut.» In der ganzen Beziehung wurde ich nicht ein einziges Mal respektlos ihm gegenüber. Er war mein Mann. Ich war abgöttisch in ihn verliebt. 

Er sagte: «Geh zum Amt und melde den Hurenpass an.» Bis dahin wusste ich gar nicht, was das ist. Die Frau vom Amt hat mir das dann genauer erklärt. Von Loverboys hat sie mir nichts gesagt. 

Mein Papa erfuhr, was ich mache, weil ich Briefe nach Hause bekam. Er sagte nichts. 

So nahm das Leben seinen Lauf. Aufstehen, schminken, Beine breit machen.  

Im Zimmer gab es einen Knopf, den man drücken konnte, wenn einem ein Freier dumm kam. «Protest» hiess das. Ich habe dreimal «Protest» gedrückt. Einmal, weil einer sein Geld zurückwollte. Einmal, weil einer mich ohne Gummi nehmen wollte. Beim dritten Mal kam eine der Frauen und sagte, ich solle nicht bei jeder Kleinigkeit Protest drücken, ich müsse auch selbst mal was machen. 

Wenn ich ihm nicht die gewünschte Summe gebracht habe, bekam ich keinen freien Tag und er schlug mich. Einmal hatte ich einen Arbeitsunfall. Das Kondom ist gerissen. Ich musste zum Frauenarzt. Er kam mit, wartete im Auto. Als ich im Wartezimmer war, fing er an: «Warum hast du Instagram? Alle meine Freunde haben das gelöscht.» Ich habe es also auch gelöscht. Weil er mein Mann war und ich dachte, dass wir ein Team sind. Beim Frauenarzt habe ich mich testen lassen auf HIV und so. Danach sind wir ins Hotel. Ich habe mich hübsch gemacht.  Wir kamen uns näher und als es dann zum Sex überging, sagt er: «Was machst du? Hast du Kondome dabei?» Ich sagte: «Nein, ich dachte du bist mein Freund.» Aber nein ich war nicht seine Freundin oder Frau. Ich war einfach seine Nutte.» 

Obwohl sich das jetzt alles hart anhört, war mein Schicksal im Vergleich nicht so krass. Die Frau im Zimmer nebenan, hatte es noch schlimmer. Die hatte bereits zweieinhalb Jahre für ihren Mann gearbeitet, hat nie seine Eltern kennengelernt, wohnte immer noch im Puff. Mit einem anderen Mädchen habe ich manchmal Süssigkeiten von der Tankstelle geholt. Wir durften das nicht. Wir mussten Fitness machen. Sie musste ein bestimmtes Gewicht erreichen, sonst hat ihr Mann sie geschlagen. Für euch, die ihr noch nie mit dem Rotlicht in Berührung gekommen seid, ist das nicht normal. Für uns war das normal. In dieser Welt ist das normal. 

Dann sagte er: «Guck mal, du bist die Hauptfrau und ich möchte, dass du dich benimmst, wenn wir noch eine Frau haben. Sie wird eine Nebenfrau sein.» Wir standen auf einem Platz bei der Reeperbahn. 

Ich sagte: «Ich kann das nicht.» Er sagte: «Benimm dich.» Ich sagte nichts mehr. 

Ich stand morgens auf, kratze meine Haut unter der Dusche und hatte Heulkrämpfe. Niemand war da. Ich habe mich nicht getraut mich bei meinen Eltern zu melden. Er hat mich isoliert. Ich habe meinen geliebten Vater eingetauscht gegen diesen Mann. 

Dann kam Corona. 

Alle Frauen sind gegangen. Ich versuchte ihn zu erreichen. Er sagte: «Entspann dich mal, warum hetzt du mich.» 6000 Euro habe ich ihm zu diesem Zeitpunkt bereits gegeben. Doch er liess mich einfach allein. Spätabends kam er und sagte: «Pack eine Tasche.»

Man hat mir ein anderes Zimmer zugeteilt. Das Zimmer war richtig schön eingerichtet. Ihn sah ich kaum noch. Und Freundinnen gibt es keine im Milieu. Die gönnen dir nichts. Alles ist so hinterfotzig. 

Ich hab dann ein kleineres Zimmer bekommen. Es war eklig, mit Tieren und allem möglichem. Ich habe versucht es zu putzen. Habe sogar einen Teppich gekauft und eine Lichterkette. 

Ich lebte also in diesem versifften Raum. Einmal kam er, sagte: «Komm lass und Bilder machen für Werbung. Du machst nun Hausbesuche und Autodates.» Wir haben also diese Fotos gemacht und ins Internet gestellt. Auf «Markt.de». Es lief gut. Ich musste ihm Bescheid geben, wenn ich aus dem Haus ging, ihm sagen wie lange es dauern wird und mich melden, wenn ich wieder zurück war.  – Damit ich ihn nicht bescheissen konnte. 

War ich im Haus, lebte ich allein in meiner kleinen, grauen Welt. 14 Zimmer hatte das Puff.  In meinem Zimmer gab es Insekten, Schimmel, grau- und bräunlich verfärbte Wände und ein alter verkalkter Geruch lag in der Luft. Alleine ass ich mein altes Brot aus dem Kühlschrank und hoffte darauf, dass ich ihn bald sehen darf. Ich schrieb ihm jeden Tag, wie er geschlafen hatte, ob es ihm gut gehe und wir uns nicht doch früher sehen könnten. Die Antwort war immer die gleiche: «Nein, wir sehen uns am Sonntag, weisst du doch.». Nachdem ich solche Nachrichten erhielt, ging ich in mein Badezimmer, duschte mich, sah mich im Spiegel an und malte mir die Welt bunt. Ich begann zu tanzen, mich abzulenken, mich auf den Boden zu legen. Ich schrieb meinem Vater, dass alles gut ist und weinte bitterlich dabei. Anschliessend schaute ich mir im Fernseher, der kaum funktionierte, weil das Kabel kaputt war, etwas an. Ich versuchte immer wieder alles so gut wie möglich zu putzen. Jeden Abend schrieb ich: «Ich liebe dich, schlaf gut und träume etwas Schönes», dann setzte ich mich auf meinen Kühlschrank, der am Fenster stand und blickte aus dem Fenster des Puffs. Diesem Fenster, das mit roten Lichtern geschmückt war. Ich steckte mir die Kopfhörer in die Ohren, hörte Musik und liess meinen Tränen freien Lauf. Dann begann ich alles kaputt zu machen, mir meine Haut aufzukratzen und meine Hände gegen die Wand zu schlagen. Anschließend legte ich mich in mein Bett, das eine dünne Matratze hatte und schon sehr ausgelegen war. Mit der dünnen Tagesdecke deckte ich mich zu und schlief fröstelnd ein – in der Hoffnung, dass der kommende Tag besser sein würde.  

Wenn er Sonntags kam, um das Geld zu holen, machte ich mich hübsch. Einmal kaufte ich eine Melone und kochte in der verdreckten Gemeinschaftsküche für uns. Ich habe 55 Komplimente auf Post-it geschrieben und in Herzform an den Spiegel geklebt. So war ich. Habe ihn so genommen wie er ist. Mit all seinen Ticks und Makeln. Für mich war er wunderschön. Er war wie eine Droge. Und ich süchtig nach Liebe. Vielleicht, weil ich das nie bekommen habe in der Vergangenheit. – Ich sehnte mich so sehr nach einem Mann, der mich so nimmt, wie ich bin. Der mich mit meinen Ticks liebt, mit meinen Makeln, der meinen Körper liebt.

Eines Tages sagte er: «Du gehst reisen.» Die Hotels schlossen in Hamburg wegen Corona. Aber in anderen Städten waren sie noch offen. Also bin ich nach Leipzig. Da habe ich um die 2500 gemacht. Ich habe ihn angelogen und ihm gesagt, dass ich weniger gemacht hätte. «Ist das dein Scheissernst? Arbeite doch mal, streng dich mal an! Bist du da zum Chillen?», sagt er.  

Ich habe mir von dem Geld Klamotten gekauft, habe mich frei gefühlt. Ein Kunde hat mir sogar Blumen vors Hotelzimmer gelegt. Einer war mit mir ein Eis essen. Das waren schöne Momente. Es war etwas Normales. 

Er sagte: «Wenn du dich nicht zusammenreisst, kommst du zurück.» 

Ich bin dann nach Stuttgart. Der erste Tag war ein Jackpot. Einer blieb die ganze Nacht. 980 Euro. Ich habe ihm nichts davon gesagt. Ich habe ihn da langsam durchschaut. 

Ich hatte es meiner Stiefmutter erzählt. Sie meinte, sei vorsichtig, behalt das Geld für dich. Mein Onkel wusste es, er sagte: behalt das Geld. Mein Papa meinte: «Er nutzt dich aus, er ist ein Zuhälter.» Mein Papa war sauer, meine Stiefmutter hat mir Mut zugesprochen. Ich sagte zu mir selber: «Du überlegst jetzt, was du tust.»

Eine Kollegin erzählte, dass sie in der Schweiz arbeitet. Ich sagte: «Ok alles klar, ich frage mal meinen Mann.» Denn die Hotels machten nun in ganz Deutschland dicht wegen Corona. Er sagte: «Ok, geh in die Schweiz aber benimm dich.»

Er hat mir 300 Euro mitgegeben. Ich hatte das Gefühl, dass ich diesen Mann nie wieder sehen werde. Ich bin nach Zürich gefahren.  

Mit dem allerersten Club verbinde ich schöne Momente. Es war in Zürich. Die Miete war 220 Franken pro Tag. Die Wärter waren nett. Es war ein anderes Klima. 

Die Frauen hatten genauso wie ich einen Freund. Nur eine ältere Frau hatte keinen. Er rief nur an, um zu fragen, wie viel Geld ich gemacht hatte. Er hat sich dafür ein kleines Handy gekauft mit einer Nummer, die nicht registriert war. Bei Snapchat schickte er mir jeweils ein Emoji damit ich wusste, dass er jetzt dann gleich telefonieren will. Ich sagte ihm, dass die Miete hoch ist und kaum Kunden kämen. Er sagte, dann solle ich in einer Woche nach Hause kommen.  

In diesem Puff in Zürich habe ich mit einem Mann geredet, der an der Bar arbeitete.  Er sagte mir: «Ein Mann, der dich liebt, der macht das nicht.» Er hatte Recht. Ich habe meinen Papa angerufen, habe geweint. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht mehr kann, er mir helfen soll. 

Meine Stiefmama buchte mir ein Ticket. Ihm sagte ich nichts. Dann bin ich hochgefahren. Mit einem Red Bull, meinen Kopfhörern und meinem Handy. Mein Papa stand am Bahnhof in Hamburg. Ich habe ihn umarmt, habe geweint. Hatte das Gefühl: Jetzt ändert sich alles. Mein Vater und ich sind zum Puff gefahren. Er war schockiert, dass ich hier gearbeitet hatte. Da war eine Kamera, also haben wir unsere Kapuzen hochgezogen. Mein Vater hat mir Müllsäcke gegeben und wir haben alle meine Klamotten eingepackt. Lichterkette und Teppich liess ich da. 

Ihm habe ich eine riesenlange Nachricht geschrieben. 

Zuhause weckte ich meine Stiefmama, wir haben geweint. Ich habe gesehen, dass er meine Nachricht gelesen hat. Er hat mich sofort blockiert. Meine Stiefmama sagte: «Du warst nur sein Portemonnaie.» Da habe ich es wirklich realisiert. 

Am Abend habe ich das Mädchen vom Puff angerufen und ihr gesagt, dass ich nicht mehr da bin. Sie sagte: «Sei ehrlich, hat dich ein anderer Mann poussiert? Versprich mir eins, mach das nicht allein und geh nicht in die Schweiz.» Sie meinte noch: «Du kannst immer mit mir reden, wenn was ist.» Im Endeffekt hat ihr Mann gesagt, dass sie den Kontakt zu mir abbrechen muss, und sie hat mich auch blockiert.

Dann habe ich meine Sachen gepackt und bin wieder in die Schweiz. Ich wollte nicht in Deutschland bleiben. Da gab es keine Zukunft für mich. 

Ich ging zurück in dieses Puff in Zürich. Die Arbeit dort belastete mich immer mehr. Ich mag es beispielsweise nicht, wenn meine Brüste angefasst werden. Einem sagte ich also: «Fass meine Brüste nicht an.» Ich sagte es ihm dreimal und er hörte nicht auf, also schlug ich seine Hände weg. Er schubste mich vom Bett, erhob die Hand, wollte mich schlagen. Ich schrie: «Mich fasst du nicht an.» Den Männern im Puff ist das egal. Du bist wie eine Ware. Das Milieu ist das Dreckigste, was man sich vorstellen kann. Es gibt so viel Dinge, so viel eklige Dinge. Für mich war es damals normal. Ich habe nicht mehr gesehen, wie krank das alles ist. Ich musste jeden Tag 220 Franken für das Zimmer bezahlen. Aber es war nichts los. Ich wurde aggressiv. Unter den Frauen war so ein Konkurrenzkampf, weil es nur noch darum ging, Geld zu verdienen, um die Miete zu bezahlen. Mit einer anderen Frau bin ich dann in einen anderen Club. Da war ich eine Woche. Ich hatte mein eigenes Zimmer. 

Ich musste um 10.00 Uhr aufstehen und bis Mitternacht arbeiten. Ich musste die Hälfte vom Geld abgeben, das ich verdiente. Die Preise waren festgelegt. Die Mindestzeit war 20 Minuten. Ich hatte einen Kunden, der zu schnell kam. Schon nach fünf Minuten. Ich fragte ihn, ob er noch bleiben oder noch eine Zigarette rauchen will mit mir. Denn die Regel war, dass ich es in der Zeit so oft mit ihm machen muss, wie er will. Er wollte gehen. Und hat sich dann bei der Hausdame beschwert. Die sagte mir, ich müsse einen Teil des Geldes zurückgeben. 20 Prozent. Ich sagte: «Das könnt ihr gern vom Teil des Hauses machen. Ich gebe nichts von meinem Anteil.»

Als ich einen Tag frei machen wollte, durfte ich das nicht. Die Hausdame sagte: «Dann brauchst du gar nicht mehr zurückzukommen.» Bin ich ein Tier? Ich ging dann in ein Hotel. Über «Kolleginnen.de» sah ich eine Anzeige für eine Privatwohnung in Zürich. Dieser Typ, der die vermietet, wollte 50 Prozent von den Einnahmen. Zwei Männer haben mich abgeholt vom Hotel. Sie fuhren mich in dieses Loft. Einer war dafür da, das Geld zu holen. Der andere kümmerte sich um die Werbung. Er machte Anzeigen mit Fake-Fotos. Neben mir waren noch zwei Rumäninnen in dieser Wohnung. Und dann war da noch eine Frau. Eine sehr respektlose Frau. Sie hatte die Wohnung gemietet. Sie schrieb und telefonierte von einem anderen Ort aus mit unseren Kunden und tat dabei so, als ob wir am Telefon wären. Uns schrieben sie nur: «Er kommt!» – und wie lange er bleiben wird. Ich musste von 9.00 Uhr bis 03:00 Uhr arbeiten, konnte weder über meine Zeiten, meine Preise noch über meine Dienstleistungen bestimmen. Die haben beispielsweise reingeschrieben, dass ich Analverkehr anbiete, was nicht stimmt. Die haben nicht auf mich Rücksicht genommen. Ich wurde, wie ein Gegenstand behandelt. Ich hatte nichts mehr zu bestimmen. Ich wusste nicht, welcher Kunde kommt. Und in der Wohnung war niemand, der aufpasste. Die hätte das nicht mal gejuckt, wenn uns ein Freier abgestochen hätte. Abends holten sie die Hälfte des Geldes. Aufgeschrieben wurde nichts.  

Ich wechselte dann in eine andere Wohnung, die ebenfalls von den zwei Männern und dieser Frau betrieben wurde. Es war noch eine andere Deutsche und eine Schweizerin da. Wir wurden nach ein paar Tagen rausgeworfen, weil das Trio anscheinend die Miete nicht bezahlt hatte. Ich stand also mit meinem Koffer auf der Strasse. Es regnete. Und es kümmerte niemanden. Erst abends hat mich der eine Mann zu einem Hotel gefahren. Da hätte ich gleich weiterarbeiten sollen.

Ich ging dann einfach weg. Über «Kolleginnen.de» habe ich einen Ort gefunden, der von einer älteren Frau betrieben wurde. Es war düster und dreckig. Aber das kannte ich ja schon. Sie sagte, dass ich erstmal keine Miete bezahlen müsste. Die Tagesmiete war 150 Franken. Wegen Corona lief nichts. Am ersten Tag war sie freundlich. Sie half mir bei der Werbung. Keine Kunden kamen. Am dritten Tag habe ich mir Pommes geholt bei McDonalds. Sie sagte: «Kannst du mir das Geld für die Miete geben?» Sie wusste, dass keine Kunden gekommen sind. Ich sagte ihr das. Sie sagte: «Aber ins Restaurant kannst du? Kümmere dich drum.» Dabei habe ich schon tagelang nichts Richtiges mehr gegessen. Als ich am nächsten Tag spazieren war, rief sie mich an und sagte, dass ein Kunde da sei. Ich sagte ihr, dass ich den ganzen Tag gewartet hätte, und nun nicht kommen könne. Als ich zurückkam, ist sie ausgerastet, weil ich die Miete nicht bezahlen konnte. Ich wollte heimlich meine Koffer packen und gehen. Ich war im Hausflur. Da sagte sie, ich müsse so lange dableiben, bis ich die Miete bezahlt hätte. Das waren mehrere hundert Franken. Sie sagte: «Du schreibst mir jetzt einen Schuldschein.» Ich machte es nicht. Sie wurde handgreiflich, schubste mich auf die Strasse und warf mir die Koffer hinterher.

Ich konnte mich nicht mehr wehren. 

Wieder fand ich etwas, ein Domina Studio. Ich rief an, sie sagte: «Komm erstmal her.» Es war ausserhalb von Zürich. Sie gab mir etwas Warmes zu essen und ein kleines Zimmer mit einem Bett. Am nächsten Morgen fand sie, dass ich nicht hier reinpasse, weil es bei ihr nur Sklavinnen und Dominas gibt. 

Sie gab mir die Adresse eines Puffs. Aber da wollte ich nicht hin, weil man da ohne Gummi hätte blasen müssen. 

Die eine Frau, mit der ich zuvor in diesem anderen Club war, schrieb mir. Sie hatte etwas. Es war eine Privatwohnung in Zürich. Das lief über einen Mann, den ich nie gesehen habe. Der Deal: 50 / 50. Wieder konnte ich weder über Arbeitszeiten, Preise noch Dienstleistungen entscheiden. Da wurden echt krasse Fake-Profile hochgeladen. Arbeitszeiten waren wieder von 09.00 Uhr morgens bis 03.00 nachts. Es gab auch da wieder eine Telefonistin, die mit den Männern schrieb. Uns schrieb sie dann einfach: «Kunde kommt.» Wenn der Freier da war, musste ich dem Besitzer schreiben. «Start» wenn er kam und «Stopp», wenn der Kunde wieder ging. Bei meiner Kollegin lief es extrem gut. Bei mir nicht. Also wurde Druck gemacht. Ich müsste nun selbst Fotos machen. Sie sagten mir welche Posen und wie ich mich schminken muss. Die haben regelrecht über mich bestimmt. Ich habe alte Fotos geschickt, aber damit waren die nicht zufrieden.

Einmal wollte ich kurz raus. Der Betreiber dieser Wohnung war respektlos: «Wie kann es sein, dass du deine Arbeit so vernachlässigst, du bewegst jetzt deinen Arsch.» Denen geht es nur ums Geld. Die schrieben den Kunden auch, dass ich Analverkehr anbiete. Nun, ich konnte die Fotos nicht liefern. Der Betreiber sagte: «Verpiss dich.»

Ich ging dann in ein Puff etwas ausserhalb von Zürich. Der Kollege des Besitzers holte mich ab. In diesem Club waren nur Rumäninnen. Wieder 50/50. Der Preis für 10 Minuten waren 100 Franken. Mir blieben also 50 Franken. Inbegriffen war: Küssen, blasen ohne Gummi und normaler Verkehr. Ich sagte, dass ich küssen und blasen ohne Gummi nicht anbiete. 

Ich schlief in einem Schlafsaal. Ich konnte nicht mehr, hatte keine Kraft mehr. Wieder war ich in meiner kleinen Welt. 

Wenn es klingelte, mussten wir die Schuhe anziehen, hochgehen. Da war eine Bar mit einer Stange und wir mussten uns aufreihen. Der Kunde sagte: «Ich will die.» Da wurde mir klar, dass ich eine Ware bin. Ich wurde nicht wie ein Mensch behandelt. Nicht als Frau respektiert. Auch nicht von den Inhabern und nicht von der Hausdame. 

Ein Kunde wählte mich. Ich sagte: «Ohne Küssen, blasen nur mit Gummi.» Da sagte die Hausdame dem Kunden, dass es dann nur 70 Franken kostet. Ich bekam also gerademal noch 35 Franken. Ich konnte nicht mehr. Das ist so eine Ausbeutung. Ich habe mich in meinem Zimmer verkrochen, habe Corona vorgetäuscht. 

Ich bin aus dem Club weg und zum Hauptbahnhof gefahren. Mir liefen die Tränen runter. Die Leute dachten, ich sei eine Drogenabhängige. Ich hatte kein Geld, seit Tagen nichts Warmes gegessen. Ich bettelte. Alle schauten weg. Ich schrieb einem ehemaligen Kunden. Er holte mich ab, brachte mich in ein Hotel. Zuvor hatte ich mir noch Schlaftabletten besorgt. Im Hotel schrieb ich Hilfsorganisationen an. Dann nahm ich die Tabletten und trank Alkohol. Ich dachte: Fickt euch alle. So ein dreckiges Leben. Die Leute da draussen sehen nicht, was für ein Leben das in der Prostitution ist. Wie man misshandelt wird. Seelisch und körperlich. 

Ich sehnte mich doch nur nach Anerkennung, Liebe und Zusammenhalt. Ich wollte nur lieben und geliebt werden und wurde zu einer Rose im Dessous, die im Puff verwelkt.  

Am nächsten Nachmittag wachte ich auf und bekam einen Anruf von einer staatlichen Organisation. Die meinten, ich solle zu ihnen kommen. Kurz darauf rief mich auch Jael von Heartwings an. Ich sagte Jael ab. Ich war in einem katastrophalen Zustand. Die Leute von der Organisation waren herzlich und brachten mich in ein Schutzhaus. Ich hatte nette Betreuerinnen und da waren noch andere Frauen. Ich erzählte dort alles. Aber nur von der Schweiz. Ich habe gedacht, sie helfen mir mit einer Wohnung und normaler Arbeit. Sie sagten, sie können mir nicht helfen, wenn ich keine Anzeige mache. Jael von Heartwings hat mir dann nochmals geschrieben. Fragte, ob ich Kleider aussuchen wolle bei ihnen im Büro. Dann habe ich einen Termin gemacht mit Jael.

Die staatliche Organisation sagte mir beim Austrittsgespräch, dass ich es nicht schaffen werde in der Schweiz. Doch Heartwings hatte eine Wohnung und eine Arbeit für mich. Jael und Johanna fuhren mich zu dieser Wohnung. Unterwegs hielten wir bei McDonalds. Das war schön. Ich durfte auch meine neue Chefin kennenlernen. Sie setzt sich auch für Frauen in der Prostitution ein. Sie macht es mit dem Herzen, nicht fürs Geld.

Ich lebe heute in einer Wohngemeinschaft und beginne nun eine Lehre. Ich hatte wahnsinniges Glück, dass ich da rausgekommen bin. Mein Vater sagt: Corona war mein Glück.  

In dieser ganzen Zeit im Milieu habe ich dreimal versucht mir das Leben zu nehmen. Wenn Leute behaupten, die Frauen machen das freiwillig und haben voll Bock drauf, dann sage ich: Das stimmt nicht. Es gibt vielleicht ein paar Frauen, die das freiwillig machen. Dominas oder so. Aber die Frauen, die ich kennenlernen durfte, hatten alle einen Zuhälter. Oder machten es aus Not wegen Drogen. Es ist eine andere Welt. Das Milieu ist ein dreckiger Ort. Eine Parallelgesellschaft. Männer schicken dich da rein. Ich hatte Glück. Aber viel Frauen haben kein Glück.  

Und wenn staatliche Stellen sagen, dass die Frauen das freiwillig machen, wird alles nur noch schlimmer. Die Preise sind am Arsch. Die Freier haben keinen Respekt und wollen ihren Willen durchsetzen und sagen: «Du bist eh nur eine Prostituierte.» Und in Privatwohnungen bist du auf dich selbst gestellt. In der Prostitution wird dir dein Körper genommen. Die Loverboys setzen alles daran, dass sie dir auch noch die Seele nehmen können. Und wir Frauen sind so abhängig, weil wir Liebe suchen. Frauen in der Prostitution sind für mich nicht dumm. Die machen das für einen Mann. Sie machen es aus Liebe. Das sind die stärksten Frauen. Da können mir Leute sagen, was sie wollen. 

Früher war ich schüchtern. Aber diese Zeit hat mich stark gemacht. Ich kickte einen Mann mit dem Fuss weg, als er mich von hinten nehmen wollte und ich hörte, wie er das Kondom abstreifte. Andere Frauen sind schwach, weil sie so lange drin sind, die können nicht mehr, die nehmen das hin. Frauen in der Prostitution verlieren Grenzen, verlieren ihr Selbstbewusstsein, ihr Schamgefühl, ihre Weiblichkeit, weil ihre Grenzen immer überschritten werden. Du machst dich nur schön für die Arbeit, du bist übermüdet, du verlierst dich selbst. Ich habe eine ältere Frau im Puff in Zürich getroffen, die drogenabhängig war. Sie erzählte mir, dass sie nicht mehr rauskommt. Sie verwelkt im Puff. 

Das Problem ist, dass die Prostitution süchtig macht. Die Scheine schmecken. Du kannst dir alles mit Geld kaufen – ausser Freunde, Liebe und Zeit. Der Preis, den eine Prostituierte zahlt ist hoch. Ich habe mein Selbstbewusstsein verloren, mein Schamgefühl, mein Lächeln, die Fähigkeit echte Zuneigung und Liebe zu geben. Ich kann kaum noch einen Mann so krass an mich ranlassen. Das ist das Wertvollste, was mir genommen worden ist. Heute sitze ich im Zug sehe die Männer und denke:  Du bist einer der auf Natursekt steht, du bist bestimmt ein Dominanter. Wenn mich ein Opa anguckt, find ich das eklig. Früher hätte ich zurückgelächelt. 

Ich fühlte mich schmutzig wegen dem Sex mit den Männern, ich habe meine Haut blutig gekratzt. Ich ekelte mich vor meinem Körper – manchmal heute noch.

Wir froh bin ich jetzt über mein Leben. Andere Frauen sind immer noch da drin.

Ich habe nie gesehen, dass sich ein Politiker oder eine Politikerin für die Frauen in der Prostitution eingesetzt hätte. Niemanden interessiert es, wie viele Frauen geschlagen werden, weil sie ihrem Loverboy nun während Corona nicht die geforderte Summe geben können. Oder dass ich Freier hatte, die wollten, dass ich eine Fünfjährige spiele. Einerseits ist es zwar gut, dass sie uns Prostituierte dafür nutzen. Andererseits ist das doch schamlos. Und ich weiss, dass auch Politiker ins Puff gehen. Deshalb schauen sie wohl weg und machen nichts dagegen.

Aber irgendeine muss doch mal aufstehen und was sagen. Ich will, dass der ganze Dreck aufgedeckt wird. Ich will erzählen, was mir widerfahren ist. Ich erhoffe mir davon, dass dann auch andere Frauen aufstehen. Weil sie denken: «Die hat den Anfang gemacht.» Wie bei dieser Greta Thunberg. Die Menschen sind aufgestanden, als Greta sich hingesetzt hat und streikte. Die Menschen stehen auch für dunkelhäutige Menschen auf. Warum nicht für Frauen aus der Prostitution? Ich will, dass es einen Aufstand gibt. Dass wir Anerkennung bekommen, und die Menschheit aufhört irgendwelche Meinungen zu vertreten, die sie irgendwo gelesen haben und nicht mit eigenen Augen gesehen haben. 

Das Beste und zugleich das Schlimmste wäre es, wenn Prostitution als eine normale Arbeit gesehen würde von der Gesellschaft. Das Beste, weil wir Frauen dann Anerkennung bekommen würden. Das Schlimmste wäre es, weil es dann noch mehr Loverboys geben würde. Die können dann den Frauen sagen: «Ist doch eine normale Arbeit. Was stellst du dich so an?» 

Ich habe meinen Loverboy nicht angezeigt, weil ich ihm mein Wort gab, dass ich ihn nie verpfeife. Wäre in dieser Zeit jemand zu mir gekommen, hätte ich gesagt, dass ich es freiwillig mache. Weil ich dachte, er liebt mich. Aber das war nicht so. So geht es so vielen Frauen in der Prostitution. Wir Frauen sind innerlich verloren. Ziehen es aber durch, weil wir Liebe suchen. Liebe war alles, was ich wollte. Das ist nichts Verwerfliches.

Einen Tipp an die Frauen da draussen: Testet euren Mann. Was passiert, wenn ihr nicht die Summe abliefert, die er will? Bekommt ihr dann Schläge? Ich habe einige gesehen, die geschlagen wurden. Ich verfluche jeden Mann da draussen, der das macht. Und ich sage euch: Ein Mann, der euch liebt, will nicht, dass ihr euch verkauft. 

Mein Wunsch an die Gesellschaft: Hört auf Meinungen zu vertreten, die ihr irgendwo gelesen oder gehört habt. Macht euch euer eigenes Bild. Das Milieu ist eine Welt, die das Tageslicht nicht erblickt. Urteilt nicht über Prostituierte. Urteilt nicht und sagt: Diese Frauen machen das freiwillig und selbstständig. Es ist nicht so. Hört endlich auf irgendwelche Gerüchte in die Welt zu setzen. Respektiert uns!

Ich will, dass die Zuhälterei nicht länger geduldet wird. Ich will, dass Frauen Respekt und Unterstützung von der Polizei bekommen. Ich will, dass jeder Loverboy-Zuhälter sich einmal vorstellen soll, wie es sich anfühlen würde, wenn das seiner Frau, seiner Mutter, seiner Schwester, Tochter oder Cousine jemand antun würde. Und ich will, dass Frauen in der Prostitution nicht weiter täglich verspottet werden von den anderen Menschen.