Heartwings hat ein eigenes Nagelstudio. Unsere Frau für schöne Nägel ist Lydia. Für uns ist klar, dass Lydia die allerhübschesten Nägel macht – die extravagantesten sowieso. Bei diesen Terminen geht es aber oft noch um mehr als neue Nägel. Ein kleiner Einblick:
«Die Frau vor der Tür war nicht die Frau, mit der ich den Termin abgemacht hatte.Vor der Tür stand Rachel*. Rachel hatte den Termin von einer Bekannten übernommen, weil diese verhindert war. Ich begann mit der Arbeit und fragte Rachel, ob sie wisse, was Heartwings ist und was wir hier tun. Sie wusste nichts, also habe ich ihr erklärt, dass wir Frauen in der Prostitution unterstützen. Sie lachte ständig, während ich sprach. Es war ein aufgesetztes Lachen. Ich kenne dieses Lachen. Ich arbeitete also weiter an ihren Nägeln und erzählte Rachel etwas aus meinem Leben. Auch, dass ich bis vor wenigen Jahren nie geweint hatte. Ich erzählte ihr, wie befreiend es für mich war, als ich mir vor ein paar Jahren zum ersten Mal erlaubte zu weinen.
Rachel hörte aufmerksam zu, dann sagte sie: «Weisst du, wenn ich anfangen würde zu weinen, könnte ich nie mehr aufhören.» Wir sprachen über Emotionen, und sie erzählte mir von ihrer Situation. Wie schrecklich es für sie sei, diesen Job zu machen, und wie sehr sie leide. Und dann, plötzlich, fing sie an zu weinen. Ich unterbrach meine Arbeit, ging zu ihr, umarmte sie. Irgendwann waren alle Tränen geweint und sie sagte mir, dass sie ins Badezimmer möchte, um sich das Gesicht zu waschen. Als sie zurückkam, sah ihr Gesicht anders aus. Sie fühlte sich gut und befreit. Ich hätte sie gerade zur glücklichsten Frau dieser Strasse gemacht, sagte sie. Ich war sprachlos. Wir haben den Rest des Nachmittags zusammen gelacht und gesungen – und natürlich habe ich auch noch ihre Nägel fertig gemacht (die toll geworden sind!).
Die Tränen an diesem Nachmittag – das fühlten wir beide – waren ein kleiner Durchbruch. Ein Hauch Hoffnung lag in der Luft. Und zwar trotz allem. Denn die Realität da draussen ist, dass Rachel aufgrund ihrer Papiere keine Chance auf einen Ausstieg in der Schweiz hat. Das Einzige, was sie hier tun darf, ist sich zu prostituieren.
Doch Rachel gibt nicht auf. Und wir geben nicht auf, nach Lösungen zu suchen für Frauen aus Drittstaaten.
